Ist die Osteopathie die bessere Physiotherapie? - Teil 2

Warum sind heutzutage so viele Verbraucher:innen / Patient:innen so angetan von der Osteopathie? 

Nach jahrelangem Schattendasein rückt die Osteopathie in Deutschland immer mehr ins Rampenlicht, nicht zuletzt auch, weil gerade oft unbedarfte Spitzen-Sportler mit ihrer medialen Reichweite darauf aufmerksam machen und natürlich wegen der unermüdlichen Lobby-Arbeit der 27 in Deutschland existierenden Osteopathie-Berufsverbände. (Recherchieren Sie es einmal selbst für den Fussball- oder Handballverein in Ihrer Region. Ich wette, dass es in jeder Fussball/Handballmannschaft und je höher sie spielt, mindestens einen Osteopathen im physiotherapeutischen Team gibt). Osteopathie steht in dem Ruf "ganzheitlich" zu sein, während normale Physiotherapie halt nur "schulmedizinisch" sei. 

Doch wieviel Osteopathie steckt in der "Osteopathie"? In erster Linie ist es die zugrundeliegende Philosophie und das damit verbundene, naturalistische und überkommende Weltbild. Schon 2009 stellte die Bundesärztekammer in Ihrer Stellungnahme zur Osteopathie fest: "Wie jedes andere philosophische Gedankengebäude lassen sich die konzeptionellen Annahmen der „Osteopathie“ nicht naturwissenschaftlich, beispielsweise im Sinne der Evidenzbeurteilung, untersuchen...." 

"Osteopathen" haben einen grossen Vorteil gegenüber Ihren direkten Mitbewerbern, den Orthopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten und das ist Zeit und Ihre Ungebundenheit gegenüber den Krankenkassen und anderen öffentlich- rechtlichen Institutionen. Sie bewegen sich praktisch ausserhalb des Mainstream-Heilwesens. Sie können sich bei Ihrer Arbeit Zeit lassen, dies aber nicht gratis. Der Besuch bei einem Osteopathen dauert meist 45 Minuten und länger und muss erstmal privat bezahlt werden (einige Krankenkassen erstatten dann einen Teil davon). Das ist sehr viel Zeit im Vergleich zur Taktung im System der gesetzlichen Krankenkassen, wo die Gesprächsziffer des Arztes 5-10min. umfasst und dem Physiotherapeuten mit der üblich verordneten Krankengymnastik (KG) insgesamt 20min. für Anamnese, Befund und Behandlung zur Verfügung stehen. Wer Zeit hat und damit kein Zeitdruck, kann sich zurücklehnen, kann zuhören, viele Fragen stellen und hat dann immer noch Zeit ausführlich - manuell - zu behandeln. Wenn die vermeintlich wirksame osteopathische Behandlung dann zu einer Besserung der Beschwerden führt, ist das - nachweislich - dem sogenannten "Placeboeffekt" geschuldet. 

Osteopathen haben aber nicht nur viel Zeit, sie spielen auch auf Zeit. Zwischen den Besuchen beim Osteopathen liegen nicht selten 3 und mehr Wochen, dies gemäss der Philosophie Ihres Gründers A.T. Still, der immer mindestens 3 Wochen Pause zwischen den Behanldungen haben wollte, damit die sogenannten Selbstheilungskräfte sich auch voll entfalten und wirken können. Was Dr. Still damals noch nicht wissen konnte, ist ein medizinisches Phänomen, der sogenannten "Regression zur Mitte", siehe hier. Was hat es damit auf sich? Die "Regression zur Mitte" beschreibt den natürlichen Verlauf von Krankheiten, d.h. ohne Einwirkung von aussen, d.h. wenn jemand starke Rückenschmerzen bei Wert 10 hat, werden diese irgendwann wieder weniger und pendeln sich vielleicht bei Wert 5 ein (subjektive Einschätzungen des Patienten).

Nun wird niemand mit starken Rückenschmerzen untätig auf der Couch liegen, sondern Hilfe in Anspruch nehmen und vielleicht auch selbst aktiv etwas dagegen tun. Ein Beispiel: jemand geht mit akuten Rückenschmerzen aufgrund übermässigen Sitzens wegen Home-Office während der Pandemie zum Osteopathen. Der untersucht Ihn ausführlich und stellte stark verspannte, teilweise verkrampfte und verkürzte Rückenmuskeln fest und behandelt diese manuell und evt. auch mit Dehnübungen (im Grunde ganz klassisch physiotherapeutisch). Der zweite Besuch wird für in 3 Wochen vereinbart. Was passiert in der Zwischenzeit? Der Patient erinnert sich daran, auch mal zwischendurch aufzustehen, ggf. täglich ein paar Yogaübungen zu machen und wieder regelmässig im Wald spazieren zu gehen. Die Schmerzen nehmen aufgrund der Verhaltensänderung dann kontinuierlich ab. Wahrscheinlich ordnet der Patient den Behandlungserfolg dem Osteopathen zu, der jedoch bisher nur einmalig auf ihn eingewirkt hat (genauso wie es Chiropraktiker tun und die Patienten dann erstmal ziehen lassen). Dass er sich im Grunde selbst geholfen hat, kommt ihm nicht unmittelbar in den Sinn, zumal die Osteopathie-Behandlung bezahlt werden musste und die Eigeninitiative kostenlos war. Dieses Beispiel zeigt, wie schnell Fake-Infos und - nach längerer Zeit - dann Mythen entstehen, nämlich dass Osteopathie hilfreich sei. Bisher konnte das mit soliden wissenschaftlichen Studien (randomisiert und klinisch) nicht bewiesen werden.

Weitere Infos: https://blog.gwup.net/2021/03/10/wie-hilfreich-ist-osteopathie/

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